Energielieferant
Das Cortisol
1936 ging eine lange wissenschaftliche Suche erfolgreich zu Ende. Unabhängig voneinander gelang es drei Forschergruppen, aus der Nebenniere eine Substanz zu isolieren, die später den Namen Cortison bekam. Cortison ist die inaktive Form von Cortisol. Beide Hormone gehören zu den körpereigenen Glucocorticoiden, die im menschlichen Organismus in viele lebensnotwendige Prozesse und Funktionen eingreifen. Eine ihrer Hauptaufgaben ist, dafür zu sorgen, dass der wichtigste Energielieferant all unserer Körperzellen – die Glucose – stets in ausreichender Menge zur Verfügung steht.
Das Stresshormon
Normalerweise bilden die beiden Nebennierenrinden eines Erwachsenen etwa 15-30 mg Cortisol am Tag, das über den Blutkreislauf im Organismus verteilt wird. Die Herstellung und Freisetzung erfolgt allerdings nicht kontinuierlich, sondern unterliegt einem tageszeitlichen Rhythmus. Am höchsten ist die Cortisolproduktion in den frühen Morgenstunden, gegen Mitternacht sinkt sie auf ihr Minimum.
Gesteuert über einen raffinierten Regelkreis, den zwei Strukturen des Gehirns, Hypothalamus und Hypophyse, maßgeblich lenken, kann die Synthese bei Bedarf deutlich gesteigert werden. Notwendig ist das vor allem in Stresssituationen, in denen der Körper besonders viel Energie braucht. Aus diesem Grund bezeichnen Fachleute Cortisol auch als Stresshormon. Den Abbau des aus Cholesterin hergestellten Botenstoffs übernimmt größtenteils die Leber.
Wirkungsvoller Botenstoff
Vielfältig und höchst effizient
Die Bezeichnung Glucocorticoide rührt daher, dass diese Hormone den Blutzuckerspiegel erhöhen – und damit die verfügbare Menge unseres wichtigsten Energielieferanten Glucose. Dazu greifen sie gleich in mehrere Stoffwechselprozesse ein. So fördert Cortisol die als Gluconeogenese bezeichnete körpereigene Neubildung von Glucose. Außerdem verstärkt der Botenstoff den Abbau von im Körper gespeicherten Fetten und Proteinen (Eiweiß), die dann zur Energiegewinnung genutzt werden.
Schwung für Stoffwechsel und Entzündungslinderung
Bei besonderen Belastungen mobilisiert das Stresshormon also die Energiereserven und kurbelt den Stoffwechsel an. Hinzu kommt, dass Cortisol entzündliche Reaktionen hemmt und ganz allgemein dämpfend auf das Immunsystem wirkt. Vor allem diesen antientzündlichen, immunsuppressiven Effekt, der sich über verschiedene Mechanismen entfaltet, machen sich Ärzte zu Nutze, wenn sie Glucocorticoide zur Behandlung von Krankheiten einsetzen. Darüber hinaus beeinflusst Cortisol auch den Wasser- und Elektrolythaushalt – eine Wirkung, die medizinisch allerdings weniger erwünscht ist.
Entzündungshemmer
Glucocorticoide als Medikamente
1948 spritzen Ärzte der amerikanischen Mayo-Klinik erstmals einer Patientin mit schwerem Rheuma Cortison. Binnen weniger Tage war die unter dieser – bis dahin kaum therapierbaren – Krankheit leidende junge Frau schmerzfrei und konnte sich wieder wesentlich besser bewegen. Damit begann der Siegeszug der Glucocorticoide in der Medizin. Denn mit Cortison, Cortisol und ihren zahlreichen synthetischen Abkömmlingen, die im Laufe der Zeit entwickelt wurden, standen endlich Medikamente zur Verfügung, die Entzündungen schnell und effektiv lindern.
Unverzichtbare Mittel gegen Entzündungen
Bis heute zählen Glucocorticoide zu den stärksten entzündungshemmenden Wirkstoffen. Das macht sie bei einer Vielzahl von Erkrankungen, die durch Entzündungsprozesse und überschießende Reaktionen des Immunsystems geprägt sind, zur ersten Wahl in der Therapie. Dazu gehören so schwerwiegende chronische Leiden wie Asthma, Morbus Crohn, Multiple Sklerose (MS) oder eben die besagte rheumatoide Arthritis.
Bei der Behandlung von Hautkrankheiten wie Schuppenflechte, Neurodermitis, Ekzemen und Kontaktallergien gelten die Glucocorticoide ebenfalls als unverzichtbar. Notfallmediziner setzten die Arzneimittel beispielsweise bei einem anaphylaktischen Schock oder einem Hirnödem ein – und können damit den Patienten das Leben retten.
Systemische Therapie
Wirkung im gesamten Körper
Heute gibt es nicht nur eine Vielzahl synthetisch hergestellter Glucocorticoide, die sich in chemischer Struktur, pharmakologischen Eigenschaften und Wirkstärke unterscheiden. Die Arzneimittel stehen auch in mehreren Darreichungsformen zur Verfügung – von Tabletten über Nasensprays und über Sprays zum Inhalieren bis hin zur Infusion.
Nimmt der Patient das Medikament als Tablette beziehungsweise Kapsel ein oder bekommt es in Form einer Injektion oder Infusion, sprechen Ärzte von einer systemischen Therapie. Denn dann gelangt der Wirkstoff in den Blutkreislauf und kann so seine Wirkung im ganzen Körper entfalten. Bei einigen Krankheiten ist das eine der effektivsten Behandlungsmethoden. Dies gilt insbesondere für schwere chronische Autoimmunerkrankungen wie Morbus Crohn, Multiple Sklerose oder den systemischen Lupus erythematodes.
Stoßtherapie für beschleunigten Heilungsprozess
Oft genügt es, wenn die Betroffenen im akuten Krankheitsschub für eine kurze Zeit systemische Glucocorticoide in hohen Dosierungen erhalten. Manche Patienten brauchen aber über einen längeren Zeitraum oder sogar dauerhaft eine systemische Cortisonbehandlung. Damit wächst die Gefahr, dass unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. Umso mehr gilt hier eine Grundregel bei der Dosierung von Glucocorticoiden: So viel wie nötig und so wenig wie möglich.
Topische Therapie
Wirkung vor Ort
Das Wort Topos kommt aus dem altgriechischen und bedeutet „Ort, Platz“. Wenn Ärzte von einer topischen Therapie sprechen, meinen sie damit also, dass ein Medikament an einer bestimmten Stelle des Körpers angewandt wird. Der Vorteil ist, dass dieses Arzneimittel seine Wirkung auch nur an dieser Stelle entfaltet und entweder gar nicht oder nur in sehr geringen Mengen in den Blutkreislauf gelangt.
In der Glucocorticoid-Therapie spielen solche topischen Präparate eine sehr große Rolle. So lassen sich viele entzündliche und allergische Hautkrankheiten mit cortisonhaltigen Gelen, Salben oder Cremes effektiv behandeln. Ihre Wirkstärke wird hier in vier Klassen eingeteilt – von schwach wirksam bis sehr stark wirksam.
Schnelle Hilfe bei Allergie und Asthma
Als Nasensprays und Augentropfen verschaffen lokal wirkende Glucocorticoide Personen mit Heuschnupfen und Hausstauballergie Linderung. Auch zur Behandlung von Asthma sind sie unverzichtbar. Als Spray inhaliert, dämpfen Glucocorticoide bei den Betroffenen die krankheitstypische Entzündungsreaktion der Bronchien und verringern die Schleimproduktion. Außerdem senken sie die (Über-)Empfindlichkeit der Atemwege für Reize, die einen Asthmaanfall auslösen können.
Nebenwirkungen von Glucocorticoiden
Wahrheiten und Irrtümer
Wenn der Arzt Patienten sagt, dass eine Glucocorticoid-Therapie notwendig wird, stößt dies oft auf Misstrauen. Sie denken dann an ein „Hammer-Medikament“ mit gravierenden Nebenwirkungen. Tatsächlich machte die Glucocorticoid-Therapie wegen deren unerwünschten Begleiterscheinungen in den 1970er Jahren negative Schlagzeilen.
Seitdem hat sich aber vieles verändert. Einerseits wurden zahlreiche neue Präparate und Darreichungsformen entwickelt, die eine sehr gezielte, effektive Behandlung ermöglichen. Andererseits gibt es heute präzise Richtlinien, wie die Medikamente optimal eingesetzt und dosiert werden sollten. Dadurch ist die Glucocorticoid-Therapie im Vergleich zu früheren Jahren sicherer und verträglicher geworden.
Topische Therapie: Zumeist sehr gut verträglich
Eine topische Behandlung mit Präparaten der neusten Generation ist mit einem geringeren Risiko für systemische Nebenwirkungen verbunden, weil der Wirkstoff bei korrekter Anwendung nicht ins Blut gelangt. Es ist also ein Irrtum, dass Glucocorticoide immer ein hohes Risiko für Nebenwirkungen besitzen. Manche Patienten sind aber auf eine systemische Therapie angewiesen. Hier kann das Risiko unerwünschter Wirkungen größer sein. Das hängt davon ab, wie lange und in welcher Dosierung das Medikament eingesetzt wird.
Mögliche Nebenwirkungen bei jahrelanger systemischer Therapie
Wichtig zu wissen ist, dass diese Begleiterscheinungen oft erst nach einer monate- oder jahrelangen systemischen Cortisontherapie auftreten. Nach Ende der Behandlung, das nach einem bestimmten Absetzschema erfolgt und ausschleichend durchgeführt wird, bilden sie sich in den meisten Fällen wieder zurück. Auch muss man bedenken, dass der Einsatz systemischer Corticoide oft erst dann erfolgt, wenn therapeutische Alternativen erschöpft sind. Ein „Nichtbehandeln“ einer corticoidpflichtigen Erkrankung dagegen würde in kurzer Zeit zu einer gravierenden Verschlechterung der Grunderkrankung führen.
Zu den möglichen Nebenwirkungen gehören unter anderem erhöhte Blutzucker- und Blutfettwerte, Störungen des Elektrolythaushalts, Blutdruckanstieg, Wassereinlagerungen im Gewebe, Osteoporose, Muskelschwäche, Wundheilungsstörungen und eine verstärkte Anfälligkeit für Infektionen.
Erfolgreich Therapieren
Gewissheit bei der Cortisontherapie
Ob topisch oder systemisch, eine Behandlung mit Glucocorticoiden wird immer patientenindividuell festgelegt. Einerseits beurteilt der Arzt dazu das Krankheitsbild und die körperlichen Voraussetzungen seines Patienten an, andererseits fragt er nach dessen Wünschen.
So viel wie nötig, so wenig wie möglich
Bei der Dosis gilt: Nur so viel beziehungsweise wenig, dass die erwünschte Wirkung gerade noch erreicht wird. Dadurch sinkt die Gefahr von Nebenwirkungen. Besonders relevant ist diese Regel, wenn Patienten eine längerfristige systemische Cortisontherapie benötigen. In der Regel beginnt der Arzt mit einer Startdosis, die etwas über der wahrscheinlich notwendigen liegt. Sie wird dann Schritt für Schritt reduziert, bis die gerade noch wirksame Idealdosis gefunden ist.
Übereinkommen mit dem Arzt des Vertrauens
Der Arzt legt genau fest, wie, wann und in welcher Dosierung das Medikament angewendet wird. An diesen Behandlungsplan sollten sich die Patienten sorgfältig halten. Das ist wichtig für den Behandlungserfolg und reduziert das Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen. Um sich dem physiologischen tageszeitlichen Rhythmus der Cortisolproduktion anzupassen, sollte die Einnahme der Tagesdosis möglichst in einer Einzeldosis am Morgen zwischen 6 und 8 Uhr erfolgen.
Eine Glucocorticoid-Therapie darf nicht eigenmächtig beendet werden. Insbesondere bei einer längerfristigen, systemischen Behandlung kann das lebensbedrohliche Folgen haben.
Tipps für die Cortisontherapie
Das können Sie selbst tun
Vor allem Patientinnen und Patienten, die längerfristig Glucocorticoide anwenden, können selbst einiges dazu beitragen, dass die Behandlung erfolgreich verläuft und das Risiko von Nebenwirkungen vermindert wird.
Hier einige Gesundheitstipps, mit denen Sie eine Cortisontherapie unterstützen:
- Halten Sie sich stets an die Dosierungsanleitung des Arztes, um die gewünschte Wirkung zu erreichen und setzen Sie Ihr Präparat nicht eigenmächtig oder abrupt ab.
- Wenn Sie Glucocorticoide in Tablettenform anwenden, nehmen Sie diese während oder unmittelbar nach dem Essen ein (i.d.R. dem Frühstück). Dies ist schonender für den Magen-Darm-Trakt.
- Essen Sie viel frisches Obst, Gemüse und Getreideprodukte. In diesen Lebensmitteln stecken viele Vitamine - wichtig für Ihr Immunsystem.
- Achten Sie darauf, dass Sie ausreichend Eiweiß zu sich nehmen, am besten in Form von Fisch und mageren Milchprodukten. Mit Milchprodukten führen Sie außerdem Calcium zu - unerlässlich für gesunde Knochen, die während einer langfristigen Cortisontherapie beeinträchtigt werden können.
- Fett sollten Sie vermeiden – insbesondere tierisches. Verwenden Sie lieber Öl mit einem hohen Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren.
- Versuchen Sie, nicht zu viele Pfunde mit sich herumzutragen. Halten Sie Ihren Zuckerkonsum möglichst gering.
- Seien Sie körperlich aktiv. Sport sowie regelmäßige Bewegung stärkt ebenfalls die Knochen, senkt den Blutzuckerspiegel und hilft gegen Übergewicht.
- Achten Sie auch darauf, möglichst wenig Salz zu verzehren. Dies wirkt sich günstig auf den Blutdruck aus.
Dieser Text dient der allgemeinen Information und ersetzt keinesfalls einen Arztbesuch. Er darf nicht als Grundlage für die eigenständige Diagnose und Beginn, Änderung oder Beendigung einer Behandlung von Krankheiten verwendet werden. Konsultieren Sie bei gesundheitlichen Fragen oder Beschwerden immer Ihre/n behandelnde/n Ärztin/Arzt.